Liebe Eltern,
der folgende Leserbrief fand sich im Ärzteblatt und erklärt ziemlich gut, wie das denn mit den gesetzlich versicherten Patienten aus Ärtzesicht so läuft. Das System ist für Sie kaum zu
durchschauen (für mich übrigens auch nicht).
Gruß Ihr
Dr. M. Kimmig
Neupatientenregelung
Zur Abfederung des Finanzdefizits der gesetz- lichen Krankenkassen (GKV) wurde im Herbst 2022 das
GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verab- schiedet, in dem beispielsweise die Neupatientenregelung für Ärztinnen und Ärzte gestrichen
Ambulante Versorgung in leichter
Sprache
Kürzlich machte ich eine erstaunliche Erfahrung. Nachdem ich vom Finanzamt einen Brief
erhalten hatte, dessen Inhalt ich weder verstand noch wiedergeben konnte, bat ich offiziell um einen Bescheid in leichter Sprache nach § 11 BGG. Wenige Tage später erreichte mich die Antwort, die
mich wahrlich erstaunte. Ich musste zwar eine Steuerschuld von 85 Euro be- gleichen, aber ich wusste weshalb.
Nach Wegfall der Neupatientenregelung versuche ich nun täglich, meinen neuen Patienten die
Regelung der Hausarztvermittlung zu erklären.
Stellen Sie sich vor, meine Arztpraxis wäre eine Kantine. Mein Hauptkunde ist die
gesetzliche Krankenkasse, daneben bewirte ich aber auch „private“ Kundschaft. Das Verhältnis ist 95:5. Die privaten Kunden kommen ohne Essensgutscheine und be- zahlen den vollen Preis ihrer Mahlzeit
di- rekt. Die Kunden der Krankenkasse werden über Gutscheine abgerechnet. Vor Jahrzehnten hatte die Krankenkasse genügend Geld, sodass sie auch für die abgerechneten Gutscheine voll bezahlte. Da
aber mein Essen gut schmeckte, kamen immer mehr Mitglieder der Krankenkasse, sodass eine finanzielle Schieflage drohte. Die Krankenkasse wollte deshalb einen Abschlag. Als Großkunde zahlte sie also
nur noch 86 % des vollen Preises (Aus- zahlquote). Davon merkten aber die Kunden noch nichts, da die Portionen und die Qualität des Essens weiterhin gut waren. Es kamen mit der Zeit aber immer mehr
Kunden, sodass die Krankenkasse erneut sparen musste. Sie zahlten weiterhin nur 86 % für den Gutschein, begrenzten aber die Zahl der Gutscheine zusätzlich auf max. 1 000 Mahlzeiten. Wenn nun aber
mehr Kunden kamen, wurde ich verpflichtet, auch ihnen auch eine Mahlzeit anzubieten, dafür bekam ich aber nur noch 12 % ausbezahlt. Jetzt hatte ich ein Problem. Mein Geld reichte nur für den Kauf von Zutaten für 1 000 Mahlzeiten. Es kamen aber
immer mehr Kunden, weil die Krankenkasse ihren Kunden sagte, sie können jederzeit und sooft sie möchten, meine Kantine besuchen. Ich aber musste die Zahl der Tische für die GKV begrenzen. Dies
betraf verständlicherweise nicht die Plätze der Privaten. Die Kunden der Krankenkasse sahen dies und beschwerten sich. Zudem mussten sie nach Ausgabe der 1000 Mahlzeiten noch warten, weil die Küche auf eigene Kosten neues Essen zubereiten musste. Die GKV wollte dafür nicht
zusätzlich zahlen. Dies führte zur Idee der Neupatientenregelung.
Alle 1 000 alten GKV-Kunden bekamen weiter ihre Gutscheine mit der 86-%-Auszahlquote, neue Kunden konnten aber
auch eine Mahlzeit bekommen, für die sogar 100 % bezahlt wurden. Es war klar, dass die Kosten steigen würden. Jeder konnte so oft kommen, wie er wollte, und Essen bestellen, was er wollte.
Inzwischen wurden 1 300 Mahlzeiten für die GKV zubereitet, da kam das Ende der Neupatientenregelung. Das Budget wurde wieder auf 1 000 Mahlzeiten beschränkt. Wie soll ich mich nun bei der Zuteilung
verhalten? Soll ich die Küche wieder auf 1 000 Mahlzeiten verkleinern? In der Nachbarschaft schließen bereits mehrere Kantinen, der Andrang wird in Zukunft also noch höher werden. Soll ich also
demnächst 300 Mahlzeiten stets verschenken? Oder soll ich diese Mahlzeiten nur noch anbieten, wenn der Hausarzt oder die Servicestelle 116117 bei mir zuvor einen Platz reserviert, dann bekomme ich
für diese Mahlzeit wieder 100 %?
Ach, da gibt es ja noch den Stehimbiss, die „offene Sprechstunde“ für die Laufkundschaft,
die einfach mal so vorbei- schaut. Dafür musste die Öffnungszeit um 5 Stunde/Woche aufgestockt werden, wird aber auch zu 100 % bezahlt, darf aber nur von maximal 17,5 % der GKV-Kundschaft besucht
werden. Nach 175 Mahlzeiten ist also Schluss. Der Haken: Bislang wurden im Schnitt von „Fachkantinen“ nur 5 % am Stehtisch bedient. Sollte die Zahl in diesem Jahr um mehr als 1 % steigen, wird aber
„von oben“ der Stehtisch bei uns wieder abgeschafft.
Ist nun die Kantine schuld daran, dass es nicht unbegrenzte Mahlzeiten für die GKV
gibt?
Dass ich neue Patienten abweisen muss, mit der Bitte, dass mich ihr Hausarzt für einen Termin erst anrufen muss? Mit dieser Regelung wird der Zugang zur ambulanten Facharztbehandlung erschwert. Die
Patienten werden zukünftig ihren Weg in die Rettungsstellen suchen, die dem Andrang bereits heute nicht mehr gewachsen sind. Ist das der Plan?
Dr. Henryk Mainusch, 13507 Berlin-Tegel